Unser Lebensmittelkonsumverhalten hat sich durch die wiederkehrenden Lockdowns grundlegend verändert. Sowohl die gesundheitlichen Auswirkungen davon als auch die strukturellen sind der Inhalt umfangreicher Forschung, genauso wie die Frage, wie nachhaltig diese auch unsere Zukunft prägen werden. Zwar haben die starke krisenbedingte psychische Belastung und Unsicherheit bei einigen zu ungesundem Esseverhalten geführt, zur gleichen Zeit kam es allerdings auch zu einem verstärkten Regionalitäts- und Nachhaltigkeitsbewusstsein beim Einkaufen. Doch werden langfristig die positiven oder die negativen Verhaltensänderungen bestehen? Und ist das Potential für einen Strukturwandel gegeben?

Kollektives Frustessen

Eine Vielzahl von Studien unterschiedlicher Länder zum Einkaufsverhalten während dem Lockdown eint vor allem eine Erkenntnis: Es wurde viel bewusster eingekauft. Eine Studie in Italien kategorisierte das Verhalten in drei Gruppen: Zunächst stiegen Verkaufszahlen von Produkten, die mit einer Stärkung des Immunsystems assoziiert werden (Orangen, Joghurt etc.), sowie lang haltbaren Lebensmitteln stark an (Shelter Effect). Als nächstes ließen Unsicherheit, Angst, Druck und Langeweile zu so genanntem Comfort Food greifen: in Italien wurden um 90% mehr Popcorn, um 30% mehr Kartoffelchips, um 60% mehr Konfekt und um 180% mehr Alkohol eingekauft. Der Master Chef Effect ließ die Nachfrage nach Mehl, Germ, Butter und Eiern in die Höhe schießen – ein Phänomen, das auch vielen Österreichern nicht fremd ist, wo der Lockdown in der Zeit vor Ostern und vor Weihnachten zunächst eine Germteig- und dann eine Mürbteig-Welle auslöste.

Während einige soziale Gruppen beim Einkauf vermehrt auf Gesundheit und Nachhaltigkeit achteten, führte der Lockdown in Italien vor allem in unteren Einkommensklassen zu einem erhöhten Übergewichtsrisiko: Die Schließung von Schulkantinen und finanzielle Instabilität führten zu vermehrtem Konsum von ungesundem Essen. Auch waren Frauen stärker von Depression und Emotional Eating-Verhalten betroffen. Eine andere Studie, durchgeführt in Europa und Lateinamerika, zeigte vor allem bei Jugendlichen einen Konsumanstieg von hochverarbeiteten Lebensmitteln wie Kartoffelchips oder Fertiggerichten.

Diese, auch durch den (erzwungenen) Einbruch des Außer- Haus-Konsums entstandenen Trends könnten aufgrund der folgenden Rezession noch weit über das Ende der Lockdowns hinaus andauern. Ein Blick auf die Auswirkungen vergangener Wirtschaftskrisen zeigt, dass sinkende Einkommen nicht nur zu weniger Restaurantbesuchen, sondern auch zu steigenden Übergewichtszahlen führt. In Amerika waren auch infolge des Ausbruchs der Krise von 2008 vor allem Menschen in den untersten Einkommensklassen und Minderheiten davon betroffen. Die Folgekosten für das Gesundheitssystem waren enorm. Es ist essentiell, dass die öffentliche Hand einem solchen Trend weltweit bereits während der Lockdowns, aber auch danach aktiv entgegenwirkt – auch indem sie gezielt die vulnerablen Randgruppen, die davon besonders stark betroffen sind, anspricht.

Kürzere Lieferketten

Trotz des Frustessens kam es im Frühjahr offenbar zu einem starken Anstieg des Ernährungsbewusstseins. Ein europaweit zu begrüßender Trend war jener hin zu kürzeren Lieferketten: Sowohl der Ab-Hof-Verkauf als auch der Versand und Zustelldienst von bäuerlichen Produkten ist in einigen Ländern stark angestiegen. Bereits existierende Netzwerke erfuhren einen Boom, während einige Landwirte die Krise zur Erschließung neuer Absatzmärkte nutzten. Die Zahlen zeigen, dass das oft proklamierte „Einkaufen beim Bauern“ tatsächlich vermehrt genutzt wurde: eine Feldstudie fand in Rumänien einen Anstieg von +60% und in Österreich gaben laut Statista 44% an, dass die regionale Herkunft der Produkte in Zukunft bei der Wahl des Lebensmittelgeschäfts wichtiger werde.

Dass kürzere Lieferketten einen geringeren CO2- Fußabdruck zur Folge haben, ist nichts Neues. Durch die abrupten Reaktionen einiger europäischer Länder, die im März 2020 Grenzen teilweise über Nacht sperren ließen, rückte jedoch noch ein weiterer Aspekt in das öffentliche Bewusstsein: Kürzere Lieferketten sind resilienter und erhöhen dadurch die Versorgungssicherheit eines Landes. Auch die gesundheitlichen und geschmacklichen Vorteile regionaler Lebensmittel sind bekannt, nur ließen die doch spürbar höheren Preise Konsumenten bisher nur vereinzelt dazu greifen. Es wird sich erst zeigen, ob die neuentdeckte Liebe der Konsumenten zum Kochen mit hochwertigen, lokal produzierten Zutaten Bestand haben wird – auch dann, wenn nach dem Lockdown eine globale Rezession Einkommen schrumpfen lassen und die Rückkehr in den hektischen Alltag Außer-Haus Konsum und Fertigprodukte wieder nötig machen werden.

Strukturwandel hin zu mehr Nachhaltigkeit?

Die willkommene (und oft auch einzige) Unterhaltung, die bewusstes Einkaufen und Kochen während des Lockdowns baten, lenkte die Aufmerksamkeit der Konsumenten nicht nur hin zu mehr Regionalität, sondern auch auf das Thema Nachhaltigkeit: Eine Umfrage von Accenture, die im April in 15 Ländern durchgeführt wurde, zeigte, dass die Hälfte aller Verbraucher gesundheitsbewusster einkaufte, und dies auch weiterhin plante. 45% trafen nachhaltigere Entscheidungen beim Einkaufen und gar 64% vermieden Lebensmittelabfälle verstärkt, wobei auch hier Konsumenten angaben, dies wahrscheinlich auch weiterhin zu tun. Dieser Nachhaltigkeitstrend spiegelt sich auch in der Erkenntnis einer amerikanischen Studie wider, die zeigte, dass der Fleischkonsum im Lockdown zurückging. Vor allem bei Frauen und jungen Menschen, sowohl aus der niedrigsten als auch der höchsten Einkommensgruppe war dies ausgeprägt. Die rapide eingebrochenen Aktienkurse von den global größten Fleischproduzenten wie Tyson Foods Inc. unterstreichen dies.

Ob der Lockdown-induzierte Trend zu weniger Fleischkonsum diesen auch nachhaltig verringert, wird sich erst zeigen. Ein verstärktes Gesundheitsbewusstsein könnte hier einen bleibenden Anreiz für die Massen bilden. Es wäre auch möglich, dass die Gefahr für pandemische Zoonosen, die von intensiver Tierhaltung und Wildtierhandel ausgeht, pflanzenbasierte Ernährung stärker in den Fokus rückt. Solche Fragestellungen spiegeln sich bereits in dem verstärkten Fokus landwirtschaftlicher Forschungsinstitute auf alternative Proteinquellen wider.

Ein so disruptives Ereignis wie die COVID-19- Pandemie könnte einen positiven Strukturwandel begünstigen – die Konditionen dazu sind durch das verstärkte Ernährungsbewusstsein und der schlagartig gestiegenen Rolle von Einkaufen, Kochen und Essen in unserem Lockdown-Alltag eindeutig gegeben. Dem gegenüber stehen die destruktiven Auswirkungen, die Unsicherheit, Einsamkeit und wirtschaftliche Instabilität auf die Ernährung haben. Ob wir es schaffen, positive Verhaltensänderungen beizubehalten und negative Effekte zu überstehen, wird nicht nur in den Händen von Entscheidungsträgern, sondern an jedem einzelnen von uns liegen.

Edited by Teodor Nicula-Golovei; Photo credit: Alexandra Plămădială